DU - ein kleines Wort mit Potenzial für Diskussionen

DU - ein kleines Wort mit Potenzial für Diskussionen image

„Hast du .. ääh haben Sie meine Mail erhalten?“ Ein kleiner Versprecher, den jeder kennt. Einmal mit den Gedanken woanders und versehentlich duzt man jemanden, der einem das Du niemals angeboten hat. Eigentlich halb so wild, unangenehm ist es dennoch.

Es dürfte einige erleichtern, dass man sich dank zunehmender Beliebtheit der Duz-Kultur bei vielen Arbeitgebenden um solche Fettnäpfchen nicht mehr sorgen muss. In immer mehr Unternehmen gehört das Sie zur Vergangenheit. Egal ob Praktikant oder Praktikantin, Teammitglied, Chef  oder Chefin – man duzt sich jetzt. Erst vor wenigen Monaten verkündete XING, dass das Sie bereits in 76% der deutschen Unternehmen kaum noch existiere.

Ein Wort als Trend

Die Vorteile, die das Du im Unternehmen mit sich bringt, sind schon längst ein alter Hut und werden fast genauso häufig angepriesen wie die positive Wirkung von flachen Hierarchien und flexiblen Arbeitszeiten. Der Vollständigkeit halber hier trotzdem nochmal die Highlights: Reduktion von Barrieren, Förderung von Wir-Gefühl, Vertrautheit, offenere Kommunikation, Verbesserung von Teamwork und Feedback, sowie Ausdruck von Offenheit und Aufgeschlossenheit.

Bei einer solchen Liste von Vorteilen müsste man meinen, dass die Arbeitswelt mit uneingeschränkter Begeisterung auf die Duz-Kultur reagiert. Stattdessen beobachtet man immer wieder Empörung und rege Diskussionen. Wäre ja sonst auch langweilig. Wie bei jedem neuen Trend, gibt es eben einige, denen die ganze Sache nicht geheuer ist. Häufig wird kritisiert, das Du am Arbeitsplatz sei unangemessen, unhöflich oder stehe gar für einen Mangel an Respekt. Ebenso befürchten einige, dass der Verzicht auf das Siezen die Autorität von Führungskräften untergraben könnte. Andere wiederum schätzen schlicht und einfach die im Sie implizierte Distanz.

Äpfel und Birnen

Wenn das Sie Respekt ausdrückt, ist das Du damit automatisch respektlos? Für mich ist ein klares Nein die Antwort. Das würde ansonsten bedeuten, dass ich meinen Chef oder meine Chefin respektiere, aber meine beste Freundin oder meinen besten Freund nicht.

Natürlich vergleiche ich hier bewusst Äpfel mit Birnen. Das eine ist Arbeit und das andere Privatleben, aber genau darauf möchte ich hinaus. Ob das Du respektlos ist, ist keine Schwarz-oder-Weiß-Frage, sondern abhängig vom Kontext. Auch die Einteilung in Arbeitswelt und Privatleben wird der Frage nicht gerecht. Jedes Unternehmen ist anders, jede Situation verschieden.

Ausschlaggebend für die Wahrnehmung einer bestimmten Anrede als höflich oder unhöflich ist nicht, ob man gerade arbeitet oder nicht. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin  zuvor eine Unternehmenskultur etabliert hat, in der professionelles und respektvolles Verhalten nicht mehr untrennbar mit bestimmten sprachlichen Formulierungen verknüpft sind.

Solange es sich beim Duzen um eine Entwicklung handelt, die aus der eigenen Organisationskultur heraus entsteht, statt um eine erzwungene Modernisierungsmaßnahme, wird das Du in der Regel sehr gut angenommen. Meist sind es gar nicht die Situationen innerhalb eines Unternehmens, die sich als problematisch erweisen, sondern vor allem Gespräche mt Kunden oder Kundinnen, die ein besonderes Fingerspitzengefühl erfordern.

Mit wem spreche ich gerade?

Auch wir haben uns als kölner Start-up natürlich für das Du entschieden. Wir sind von den Vorteilen den Duzens überzeugt, sind uns aber auch der Situationsabhängigkeit seiner Wirkung bewusst.

So führen wir als Berater und Dienstleister im Bereich Recruiting unter anderem täglich Gespräche mit Kandidaten und Kandidatinnen. Beim Bewerbungsprozess und vor allem dem ersten Interview handelt es sich um Dinge, die für viele Menschen mit Nervosität und Anspannung verbunden sind. Gerade unter diesen Umständen kann das Duzen empfehlenswert sein. Wir beobachten immer wieder, wie die im Du mitschwingende Offenheit und Ungezwungenheit es ermöglicht, das Eis zu brechen und das Gespräch für unsere Kandidaten aufzulockern.

Bei einer Unterhaltung mit einem neuen Geschäftskunden oder einer neuen Geschäftskundin hingegen, befindet man sich in einer anderen Situation. Es treffen in diesem Fall nicht nur zwei Personen aufeinander, sondern über diese Personen ebenso zwei Unternehmen. Unternehmen, die sich in ihrer Philosophie womöglich stark unterscheiden. Auch wenn man selbstverständlich über potentielle Geschäftskunden und Geschäftskundinnen informiert ist, hat man keine Einsicht in die intern gelebte Kultur. Handelt es sich um ein Unternehmen, in dem sich alle Siezen und in dem darauf viel Wert gelegt wird, bringt man sein Gegenüber mit der Frage nach dem Du eventuell in eine unangenehme Situation. Dies könnte der Geschäftsbeziehung schaden, noch bevor sie wirklich angefangen hat. 

Das bedeutet gerade für geschäftliche Kontakte außerhalb des Unternehmens ist der Kontext für die Wahl der Anrede entscheidend. Unabhängig von persönlicher Einstellung oder Unternehmenskultur, sollten Achtsamkeit und Verständnis in jeder Situation an erster Stelle stehen! Die Arbeitswelt erlebt gerade einen großen Wandel. Verschiedene Meinungen und Gewohnheiten treffen aufeinander. Das heißt, selbst wenn ich persönlich und mein Arbeitgeber oder meine Arbeitgeberin das Du keinesfalls als Mangel an Respekt empfinden, wäre es respektlos, eine andere Sichtweise nicht anzuerkennen. Die Herausforderung ist es, die Situation und die Person richtig einzuschätzen. Spreche ich mit einer privaten Person oder mit dem Vertreter einer Organisation? Geht es um ein lockeres Kennenlernen oder den Aufbau einer entscheidenden Geschäftsbeziehung? 

Bleibt eurer Haltung dem Du oder Sie gegenüber treu, aber beweist auch Fingerspitzengefühl und Geschäftssinn!

 

Quellen:

Redaktion Personalwissen. (2019, Januar 2). Duz-Kultur im Unternehmen einführen – Vorteile und Nachteile. Abgerufen, 19. August 2020, von https://www.personalwissen.de/duz-kultur-im-unternehmen/

Reinhold, K. (2016, November 10). Die neue Duz-Kultur. TW Young Professionals, 1, S. 46-48..

Ruffert, M. (2020, August 22). Sagen Sie einfach Du. Neue Presse Hannover, S. 11.

Werner H. C., Gundrum E. (2020). Führen in der Arbeitswelt 4.0. In: Negri C., Eberhardt D. (Hrsg.) Angewandte Psychologie in der Arbeitswelt. Der Mensch im Unternehmen: Impulse für Fach- und Führungskräfte (S. 137-146). Springer, Berlin, Heidelberg. doi: 10.1007/978-3-662-60465-6_10

Werner, M. (2020, August 12). Duzen oder Siezen im Job? So machen Sie es richtig. Abgerufen 19. August.2020, von https://www.wiwo.de/podcast/karriereleiter/karriereleiter-duzen-oder-siezen-im-job-so-machen-sie-es-richtig/26087490.html

Zeplin, S. (2020, Mai 24). Warum wir Sie jetzt duzen. Abgerufen 19. August.2020, von https://www.xing.com/news/insiders/articles/warum-wir-sie-jetzt-duzen-3212207