Persönlichkeitsdiagnostik in der Personalauswahl: Imageproblem oder einfach ungeeignet?

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Ob fachliche Kompetenz, analytisches Denken, Stressresistenz oder Konzentrationsfähigkeit - bei vielen Unternehmen werden die Bewerber und Bewerberinnen in Assessment Centern stundenlang auf Herz und Nieren geprüft. Bei besonders ausführlichen Bewerbungsverfahren kommt noch ein Persönlichkeitsfragebogen obendrauf. Dabei ist die Persönlichkeitsdiagnostik für viele ein eher unliebsames Thema, sowohl auf Recruiter- als auch Bewerberseite. Zumeist wird sie als unnötig und untauglich für die Personalauswahl eingestuft. Aber wie kommt es zu dem schlechten Ruf und ist er wirklich gerechtfertigt?

Wie viel Aufmerksamkeit verdient die Persönlichkeit?

Wie jedes Verfahren im Bewerbungsprozess, werden auch Persönlichkeitsfragebögen eingesetzt, um Daten zu erheben, mit denen sich die Job Performance vorhersagen lässt. Denn ebenso wie Intelligenz und Konzentrationsfähigkeit, eignen sich Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität als Prädiktoren für den Berufserfolg.

Während die Vorhersagekraft dieser Charaktereigenschaften allgemein anerkannt ist, stehen vor allem die zur Erhebung verwendeten Verfahren häufig in der Kritik. Eines der angeführten Probleme ist die Tatsache, dass man sich beim Einsatz von Fragebögen auf die Aufrichtigkeit von Kandidaten und Kandidatinnen verlassen muss. Denn nicht selten ist es für Kandidaten und Kandidatinnen nur allzu offensichtlich, was erfragt wird. Diejenigen unter euch, die schon einmal einen Persönlichkeitstest absolviert haben, erinnern sich vielleicht an das Gefühl, genau zu wissen, worauf die Fragen abzielen. Da ist es natürlich verlockend, ein wenig zu schwindeln, um dem eigenen Glück auf die Sprünge zu helfen - und mal ganz ehrlich, wer würde das nicht?

Immerhin sind wir in Bewerbungsprozessen einem hohen Druck ausgesetzt. Wir befinden uns in einer Auswahlsituation mit viel Konkurrenz und als Belohnung bei Erfolg winkt der potentielle Traumjob. Die Versuchung, die Antworten etwas zu verfälschen, um ein möglichst positives Bild von sich zu zeichnen, ist hoch. Das macht die Personalauswahl zu einem schwierigen Einsatzbereich für die Persönlichkeitsdiagnostik. Zwar existieren Möglichkeiten, die Verfälschung von Antworten zu verhindern oder aufzudecken, jedoch gehen diese mit wieder neuen Nachteilen einher: Mehr Fragen, längere und komplexere Instruktionen, sowie ein größerer Aufwand bei der Interpretation der Ergebnisse. Alles nicht gerade förderlich für die Akzeptanz eines Fragebogens.

Der Kandidat oder die Kandidatin schummelt? Egal! 

Bei all der Kritik haben wir uns gefragt, ob Persönlichkeitsfragebögen im Recruiting denn wirklich keinerlei Daseinsberechtigung haben. Wir haben nach Pro-Argumenten gesucht und welche gefunden. Forschungsergebnisse geben Anlass zur Hoffnung: Ja Menschen schummeln bei Persönlichkeitstest, aber das kann man ignorieren. 

Untersuchungen haben gezeigt, dass die Tendenz, Antworten zu verfälschen, bei den meisten Bewerbenden sehr ähnlich ist. Vergleicht man die Bewerbernden miteinander, spielt deren Antwortverfälschung also keine Rolle. Welcher Kandidat oder welche Kandidatin am besten zu den Anforderungen passt bleibt unverändert, er oder sie erfüllt die Erwartungen durch sein Schummeln einfach nur ein bisschen besser. Noch viel interessanter ist die Tatsache, dass sich im Verfälschen selbst eine berufsrelevante Kompetenz verbirgt. Denn auch erfolgreiches Täuschen ist dazu geeignet, den Berufserfolg einer Person vorherzusagen. Ein gutes Impression Management, d. h. die Fähigkeit, Erwartungen zu erkennen und durch bewusste Verhaltensanpassung einen optimalen Eindruck von sich selbst zu zeichnen, ist in vielen Berufsfeldern ein wichtiger Erfolgsfaktor. Was die Vorhersagekraft der Ergebnisse auf einer Seite einbüßt, gewinnt sie demnach an einer anderen Stelle dazu. 

High Performance Teams & Zoom Calls: Einflüsse aktueller Entwicklungen 

Zudem könnte der aktuelle Wandel der Arbeitswelt für den Einsatz von Persönlichkeitsfragebögen von Bedeutung sein. Wir leben in einer Zeit, in der es beinahe unmöglich ist, einen Job zu finden, der ohne Teamarbeit auskommt. Ob international, interdisziplinär oder beides – Teamarbeit ermöglicht es Unternehmen das gesammelte Wissen ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen optimal zu kombinieren und effektiver zu nutzen. Gute Ergebnisse kommen dabei jedoch nur zustande, wenn die Teamdynamik stimmt. Die Basis dafür sind gewissenhafte und empathische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit guten Kommunikationsfähigkeiten. Fehlen diese Eigenschaften führt das über kurz oder lang in den meisten Jobs zu Schwierigkeiten. Sie sind entscheidend für die Team Performance. Um die optimalen Bedingungen für High-Performance Teams zu schaffen, könnte die Relevanz von Persönlichkeitsfragebögen in Zukunft wieder steigen.

Eine in diesem Zusammenhang interessante Entwicklung stellt auch die zunehmende Durchführung von Vorstellungsgesprächen per Telefon oder Videocall dar. Wenn Mimik und Gestik des Gesprächspartners oder der Gesprächspartnerin gar nicht oder über einen Bildschirm nur schlecht zu erkennen sind, ist eine akkurate Einschätzung der Person kaum möglich. Möchte man den Bewerbenden lange Anfahrten ersparen, stellen Online-Fragebögen eine praktische Alternative dar. Zudem bieten sie den großen Vorteil der Objektivität. Personaler und Personalerinnen sind Menschen. Menschen sind in ihren Urteilen anfällig für Verzerrungen durch Sympathieeffekte, persönliche Vorerfahrungen und anderen Einflüsse. Das stellt vor allem dann ein Problem dar, wenn der Personaler oder die Personalerin im Arbeitsalltag kaum Berührungspunkte mit der zu besetzenden Position hat. Denn Sympathien hängen von individuellen Faktoren, wie beispielsweise der wahrgenommenen Ähnlichkeit ab. Eine für den Personaler oder die Personalerin  unsympathische Person, kann für andere der perfekte Teamkollege sein. Der Einsatz standardisierter Testverfahren ermöglicht einen objektiven Vergleich zwischen Kandidaten und Kandidatinnen und kann verhindern, dass qualifizierte und passende Bewerber oder Bewerberinnen aufgrund von persönlichen Sympathien abgelehnt werden. 

Wäre da nicht der Fachkräftemangel...

Der stets beklagte Fachkräftemangel zwingt Unternehmen jedoch ihre Prioritäten neu zu ordnen und die Wünsche der Bewerbenden in den Vordergrund zu stellen. Je länger und aufwändiger das Bewerbungsverfahren, desto größer das Risiko für Unternehmen, kompetente Arbeitnehmende an die Konkurrenz zu verlieren. Arbeitgebende sind zu Abstrichen hinsichtlich Objektivität und Ausführlichkeit gezwungen, um die Unannehmlichkeiten für Bewerber und Bewerberinnen zu minimieren.

Auch wir sind von schlanken und einfachen Bewerbungsprozessen zur Entlastung der Kandidaten und Kandidatinnen überzeugt, bleiben aber auf jeden Fall gespannt, ob Personalfragebögen ihren schlechten Ruf beibehalten oder durch zukünftige Entwicklungen doch noch ein Comeback erleben. 


Quellen:

Morgeson, F. P., Campion, M. A., Dipboye, R. L., Hollenbeck, J. R., Murphy, K., & Schmitt, N. (2007). Are we getting fooled again? Coming to terms with limitations in the use of personality tests in personnel selection. Personnel Psychology, 60, 1029-1049.

Ones, D. S., Dilchert, S., Viswesvaran C. & Judge, T. A. (2007). In Support of Assessment of Personality in organizational Settings. Personnel Psychology, 60, 995–1027.

Viswesvaran, C. & Ones, D. S. (1999). Meta-analyses off fakability estimates: Implications for personality measurement. Educational and Psychological Measurement, 59, 197-210.

Schmidt-Atzert, L. & Amelang, M. (2012). Psychologische Diagnostik. (5. Auflage). Berlin: Springer.